Es gibt ja Schwerhörige, die geistig verkümmern, ja, ihre Sprache verlieren, weil sie sich vom Leben zurückziehen und kaum noch mit jemandem sprechen.
Verein für schwerhörige und ertaubte Menschen 1908
Der erste örtliche Verein des Deutschen Schwerhörigenbundes e.V. (DSB) ging auf das Engagement von Margarethe von Witzleben zurück. Genau genommen war das erste von ihr initiierte Treffen ein evangelischer Gottesdienst. Er fand in ihrer Berliner Wohnung in der Tieckstraße 17 statt, wo die Akustik besser war als in einem Gotteshaus. Zwölf hörgeschädigte Menschen und ein Pastor fanden sich am 26. Mai 1901 dort ein. Dies kann heute zu Recht als die Geburtsstunde der Selbsthilfebewegung für Schwerhörige und Ertaubte angesehen werden.
Es dauerte nur wenige Wochen, bis sich zu den vierzehntäglichen Treffen weitere Interessenten hinzugesellten, die Teil der neuen Schwerhörigengemeinde sein wollten. Das sprach sich herum und bald zeigte sich, dass diese weit mehr Gemeinsamkeiten verband als die Religion selbst. Drei Jahre später waren es bereits 157 regelmäßige Teilnehmer, die überwiegend schwerhörig waren. 1914 schlossen sich sechs Vereine und 20 Gemeinden in Deutschland zum Hephata-Bund zusammen. Es sollte allerdings noch weitere sieben Jahre dauern, bis aus der Gemeinschaft 1908 auch in juristischer Hinsicht ein Verein wurde, der einen Vorstand und eine Satzung erhielt.
Verbindung von Geselligkeit und Weiterbildung
Um auf die Probleme Schwerhöriger und Ertaubter aufmerksam zu machen, betrieb Margarethe gezielt Öffentlichkeitsarbeit, brachte die Zeitschrift Hephata! heraus und kontaktierte überdies Fachleute aus den verschiedensten Kreisen. Sie bemühte sich, weiterführende Schwerhörigenschulen zu gründen und beriet Betroffene in regelmäßigen Sprechstunden. Ein Arbeitspensum, das vermutlich nur deshalb zu bewältigen war, weil sie das was sie tat zu keiner Zeit als Last empfand, sondern als persönliche Bereicherung. Doch erwies es sich weiterhin schwierig, die Belange schwerhöriger und ertaubter Menschen und deren Not einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Deren Interesse hielt sich in nach wie vor in Grenzen.
Die Jugend entbehrt mehr als das Alter und ist empfänglich für alles Edle, Hohe und Schöne.
Viele Menschen, die sich hilfesuchend an Margarethe wandten, hatten keine Ausbildung und waren arm. Diesen war mit schönen Worten allein nicht geholfen. Auch materiell Hilfestellung zu leisten, sah Freifrau von Witzleben als ihre Pflicht an. Überdies sorgte sie für gesellige Zusammenkünfte, die ganz bewusst nicht nur der Unterhaltung dienen sollten. Tee- und Schachabende wurden organisiert, manchmal auch Lesungen, die sie selbst hielt, weil sie Angst davor hatte, dass ihre Lautsprache verkümmerte. Stets war es ihr Antrieb, geistige Anregung zu vermitteln. Dabei ließ sich Margarethe vom großbürgerlichen Salon des 19. Jahrhunderts inspirieren. In diesen trafen sich Menschen nicht nur, um Zerstreuung zu finden, sondern auch, um sich auf den neuesten Stand gesellschaftlich vorherrschender Themen zu bringen.